Ein Spaziergang durch Erinnerungen: Riedlepark
- O Peregrino
- 8. März
- 2 Min. Lesezeit
Wieder einmal versprach der Himmel Regen für den Nachmittag. Also packten Jürgen und Huayna frühmorgens ihre kleinen Rucksäcke und machten sich mit einem klaren Ziel auf den Weg: einen Ort zu besuchen, der Jürgen am Herzen lag – den Wald, in dem er aufgewachsen war.
Ihr Weg führte sie zunächst die Riedleparkstraße hinunter, wo die Zeit stehengeblieben zu sein schien. Dort zeigte Jürgen auf ein altes Wohnhaus, dessen schlichte Fassade verwittert, aber seit den Jahren kurz nach dem Zweiten Weltkrieg unverändert geblieben war. Einst hatten dort französische Offiziere gewohnt, die als Teil der Besatzungstruppen in Friedrichshafen stationiert waren. Auch Jürgen und seine Eltern hatten hier lange Zeit gewohnt – nur einen Steinwurf entfernt von dem Wald, der seine Kindheit so geprägt hatte.

Für Jürgen war der nahe Wald ein zweites Zuhause – eine Welt voller Leben. Rehe, Hasen, Igel, Waldmäuse, Spitzmäuse und Eichhörnchen waren seine stillen Begleiter zwischen den uralten Bäumen. Es war ein Ort voller Wunder, Zuflucht und endloser Abenteuer.
Er erzählte Huayna von Königin Olga von Württemberg – einer Tochter von Zar Nikolaus I. –, die in den 1860er Jahren diese kostbare Grünfläche vor den Klauen gieriger Holzhändler gerettet hatte. Sie hatte das Land von den örtlichen Bauern gekauft und es zum öffentlichen Park erklärt. Dank ihres Mutes konnten Kinder auch Generationen nach ihr noch unter den hoch aufragenden Bäumen ihren Zauber entdecken.

Doch dort in der Vergangenheit zerriss ein schweres, mechanisches Dröhnen die morgendliche Ruhe. Zu Jürgens Entsetzen fraß sich Baumaschinen mit ihren monströsen Baggern und Bulldozern wie mechanische Bestien durch die Bäume. Die Verwüstung traf ihn wie ein Schlag. Dies hatte er Jahre zuvor miterlebt – eine Straße, die mitten durch den Wald geschlagen wurde, um den endlosen Hunger nach Autos und Komfort zu stillen. Noch heute denkt er schmerzlich an die Vergangenheit zurück.
Rehe und Hasen waren längst verschwunden. Nur die widerstandsfähigeren Tiere – Igel und Eichhörnchen – klammerten sich noch an die Trümmer ihres schrumpfenden Zuhauses. Es fühlte sich an, dachte Jürgen verbittert, als hätte jemand sein Elternhaus Stein für Stein abgerissen.
Selbst Jahrzehnte später war die Wunde noch nicht vollständig verheilt. Er beobachtete die langsame, stetige Zerstörung der Natur mit der Trauer eines Menschen, der sie zu sehr geliebt hatte, um jemals gleichgültig zu sein. Und obwohl es nun Bemühungen gab, das Verlorene wiederherzustellen, konnte es nie wieder ganz dasselbe sein. Doch Jürgen und Huayna ließen sich nicht von ihrer Traurigkeit überwältigen. Sie konzentrierten sich stattdessen auf das, was noch da war – das frische Grün der Bäume, die noch standen, die fröhliche Symphonie der Vögel, die bei jedem Wetter ohne Bitterkeit ihre Lieder sangen.
Und als sie zufällig auf einer alten Seilrutsche stießen, die stolz auf einer Lichtung stand, lachten sie wie zwei Jungen, die abwechselnd hinuntersausten. Der Regen blieb gerade lange genug aus für diese Momente purer, einfacher Freude.

Später stellten sie fest, dass nur noch zwei verschwommene Fotos vom Riedlepark übrig waren – technisch gesehen nichts Besonderes. Aber das spielte kaum eine Rolle. Die wahren Schätze wurden schließlich nicht in Pixeln oder Einzelbildern festgehalten – sie blieben im Herzen, lebendig in der Erinnerung.
Publiziert: 08/05/2025
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